DFG Graduiertenkolleg 1608 / 1 Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivierung in historischer und interdisziplinärer Perspektive

"Von Selbstbildung in der Fremde und den Praktiken der kaufmännischen Jugend - Wie in der Frühen Neuzeit aus Memmen Männer und aus Heißspornen Kaufleute wurden"

Der Frage nach der gekonnten Selbst-Bildung des frühneuzeitlichen Kaufmanns nachzugehen, sprich: nach den Erfolgsrezepten zu suchen, die den historischen Akteur des 16.- 18. Jahrhunderts dafür prädestinierten, sich in der Welt des Handels einen allseits anerkannten, redlichen Standesvertreter zu heißen: Wo ließe sich zur Annäherung an dieses Erkenntnisinteresse besser ansetzen, als in der Phase im Leben eines jeden Handelsmannes, in der eben jenes dezidiert noch zur Disposition stand? Heißt: im Blick auf die kaufmännischen Jugend- und Lehrjahre, während denen sich erst entschied, ob die frühneuzeitlichen Akteure - im wahrsten Sinne - überhaupt das ‚Zeug’ dazu hatten, ihr Leben als ‚Kaufmann’ zu bestreiten. Während denen sich die sprichwörtliche Spreu vom Weizen trennte. Und die uns eben dadurch wohl am unverstelltesten einen Eindruck davon vermitteln, was alles dazugehörte, um als Kaufmann ‚gemacht’ zu sein, oder anders: die uns anhand von kläglichem Scheitern oder geglückten Aufstiegen genau damit ausstatten, auf was wir mit unserer Suche letztendlich aus sind: dem Nachweis des für einen frühneuzeitlichen Kaufmann ‚erforderlichen’ Rüstzeuges, ergo, der habituellen Querstreben und praktischen Anforderungskataloge - der kulturellen Form - des kaufmännischen Subjekts der Frühen Neuzeit.

Dieses Dissertationsprojekt richtet den Blick auf die Lehrjahre des nordeuropäischen Kaufmanns der Frühen Neuzeit als Scheidepunkt und Blaupause kaufmännischer Subjektivierung. Den Untersuchungsgegenstand bilden dabei die Weichenstellungen, Herausforderungen und Bewährungsmuster eines - wie es nur so kennzeichnend und standesgemäß für den Lebenslauf eines der global player der Frühen Neuzeit eintritt - Aufwachsens und Lebens in der Fremde; einer Lehrzeit, obligatorisch und mehrjährig abgeleistet in den großen Handelsmetropolen des damaligen Europa. Das Vorhaben sucht Antworten auf die Frage danach, wem der Sprung in Richtung einer erfolgreichen Kaufmannslaufbahn gelang oder für wen sich die Hürden doch als zu hoch erwiesen; nach (Selbst-) Bildungsgängen, die uns eben dadurch Rückschlüsse auf das oben genannte Erkenntnisinteresse versprechen: gezielt vor einer praxeologischen Deutungsschablone. Bedeutet: weder in Lehrverträgen noch in Erziehungsratgebern, nicht nur im Machtverhältnis der Lehrsituation oder vor dem Regelwerk der Vater-Sohn-Beziehung, sondern: dezidiert im Alltag. Überspitzt: Erst hier, in der Probe aufs Exempel, ‚entschied’ sich die kaufmännische Subjektivierung tatsächlich.

Das Besondere? Erstmalig rückt dadurch ein wirkungsmächtiger Einflussfaktor, eine neue Variable der ‚Kaufmanns-Werdung’ in den Fokus, die bis dato in der Forschung zu Unrecht unterrepräsentiert ist: das Mitspracherecht der Gruppe der Gleichaltrigen. Denn wenn es einen Sozialverband gab, der maßgeblich auf die ‚Alltäglichkeiten’ und Räume jugendlicher Lebenspraxis, auf die mannmännliche Vergesellschaftung zur Zeit der Lehre einwirkte, dann waren es die Jugendlichengruppen direkt vor Ort: die Peer-Group, die Jugend ‚unter sich’. Die Jugendkultur, die Halt, Orientierung und Hilfe im harten Alltag und täglichen Geschäft bot, erstmal Stütze war und dabei doch zu Zeiten ganz eigene - vermeintlich ‚lasterhafte’, deviante - Spielregeln forcierte. Problem? Nein, ganz im Gegenteil. Genau genommen gibt es keine ‚prädestinierteren’ Momente im subjektivierungstheoretischen Blick auf die kaufmännischen Lehrjahre, die dem Historikerblick treffender vor Augen führen könnten, wie es um den historischen Akteur bestellt sein musste, der dazu antrat,‚Kaufmann’ zu werden, als jene, in denen erst noch zur Diskussion stand - in denen erst untereinander, miteinander, gegeneinander innerhalb der Peer-Group ausgehandeln wurde - in welchen Spielarten eine ‚kaufmännische Lebenspraxis’ ihren akzeptierten Ausdruck zu finden hatte.

Hier setzt diese Vorhaben an und hier verortet es die tatsächliche Wiege des kaufmännischen Subjekts: in den Praktiken der kaufmännischen Jugend, den alltäglichen Soziabilitätsspielen unter Jugendlichen, dem ausgetragenen Wettbewerb um Anerkennung; der Jugendkultur als Trainingsfeld, in dem sich ausprobiert wurde, Strukturübung und alltägliches Laboratorium praktischen Wissens, die den Lehrling - so die These - letztendlich zum Kaufmann ‚machten’, sprich: ihn eben darin anlernten, sich gekonnt als einen solchen zu erkennen zu geben.

Und wenn dabei das Bild des frühneuzeitlichen Kaufmanns als stets kühl kalkulierender, rationell abwägender, sparsamer, reserviert beherrschter, historischer Protagonist ein wenig ins Wanken gerät, so ist das weniger Schwierigkeit denn vielmehr Teil des Forschungsprogramms.