DFG Graduiertenkolleg 1608 / 1 Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivierung in historischer und interdisziplinärer Perspektive

Konversion und Glaubenswechsel als Praktik religiöser Subjektivierung im 17. Jahrhundert

Frühneuzeitliche Konversionen und Glaubenswechsel bedeuteten für die sie betreffenden Menschen eine prozessuale Veränderung des Selbst- und Weltverhältnisses. Ausgelöst durch schleichende Glaubenszweifel, Alteritätserfahrungen aufgrund von Reisen oder politischen Opportunismus wurden jahrelang ausgeführte religiöse Praktiken fragwürdig, veränderten Konvertiten ihr körperliches Verhalten und verwickelten sich in einem neuen religiösen Selbst.

Dabei sollte einerseits nicht angenommen werden, dass die Veränderung des Selbst- und Weltverständnisses nur von außen an Konvertiten herangetragen und sie durch religiöse Instruktion und konfessionelle Ordnungen gleichsam zu einem neuen Glauben konvertiert wurden. Andererseits sind in einem praxeologischen Verständnis Glaubenswechsel im 17. Jahrhundert keine sorgsam geplanten Handlungen, die Konvertiten sicher und unumstößlich zu ihrem neuen spirituellen Selbst führen sollten. Konvertiten reagierten auf den Aufforderungscharakter der sie umgebenen Akteure, Räume und Artefakte und agierten somit in sozialen Spielräumen. Sie verstrickten und verwickelten sich in unterschiedlichen Praktiken und damit im Prozess ihrer religiösen Subjektivierung. Die Lektüre spiritueller Schriften konnte dabei ebenso eine Rolle spielen wie die Gespräche über einen anderen, einen als fremd empfundenen Glauben.

Über die Beobachtung, Imitation und Inkorporierung von Glaubenspraktiken erwarben Konvertiten verschiedene, möglicherweise sich widersprechende Formen praktischen Wissens und Könnens und standen damit immer in einem Spannungsfeld zwischen Routinehandeln und Eigensinn. Das anerkannte körperliche Verhalten im Alltag, sei es im Rahmen von Gottesdiensten oder im einzelnen Gebet, war in vielen Fällen entscheidend für das dauerhafte Gelingen des Glaubenswechsels. Konvertiten wollten und konnten im Prozess der Subjektivierung Anerkennung erfahren und ihr religiöses Selbst manifestieren. Dabei wurden sie durch die regelmäßige Ausführung der kulturell produzierten Praktiken im Prozess ihres Glaubenswechsels geformt, während Konvertiten als Subjekte gleichzeitig auf diese Praktiken rückwirkten, sie transformierten und potentielle Veränderungen der kulturellen Schemata bewirkten.



In 17th century Europe, conversion and religious change meant a transformation of both the understanding of the human self and the world. Religious change was a social practice that can be defined as a complex of socially regulated and typified patterns of action, which early modern people in their daily routines got entangled in.

Contrary to actions, this practice did not emanate from subjects. Rather, subjects created and formed themselves in the practice. Converts can thus be perceived as subjects who are accustomed to the world around them, including other actors and their bodily performances, spaces and artifacts. This becomes obvious when we look at how non-Christian converts were instructed in their new faith. Further, the importance of confessional boundaries cannot be neglected when analyzing changes of religion in the early modern period. Yet, it would be a misunderstanding to assume that converts only reacted to collective norms and values.

Converts also had the power to change the settings. Through their performances of typified patterns of action in their daily routines, they get caught up in a new religious self, which again had repercussions on their patterns of action. Reading religious texts played an important role in their conversion processes as well as conversations about the new faith. Moreover, converts often visited church services of other confessions and took part in them. They imitated the rituals they observed and thus gained a religious know-how. Therefore, it is necessary to analyze the complexes of socially regulated and typified patterns of action in early modern conversions.